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Anfänge der KogelStreetNews

ROOTS 2008 - Anna

 

In diesem Schuljahr hat Anna aus der 9b am Roots-Wettbewerb des WDR teilgenommen. Auch sie hat es bis in die Endrunde geschafft, wie Semhar im letzten Schuljahr.

  
  

Meine Wurzeln und mein Leben!


Mein Name ist Anna Fedukov. Ich bin 16 Jahre alt und komme aus Russland.

 

Jetzt wohne ich schon seit zwei Jahren in Deutschland, zusammen mit meinen Eltern und meinen beiden Brüdern. Von den Kindern bin ich die älteste in der Familie.

 

In Russland bin ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen. In diesem Dorf lebten ungefähr 600 Menschen. Dort gibt es eine Schule, einen Kindergarten, eine Disco, eine Bibliothek, einen Sportplatz und eine Apotheke. Mit drei Jahren musste ich zum Kindergarten gehen und mit 6 Jahren bin ich in die Schule gekommen. In meiner Schule gab es nur rund 80 Schüler. Der Unterricht ging von Montag bis Freitag und dauerte von 8:15 Uhr bis 14:00 Uhr. Ich hatte verschiedene Fächer: Mathematik, Chemie, Physik, Erdkunde, Musik, Muttersprache, Deutsch, Kunst, Geschichte und Sport. Jeden Tag hatte ich viele Hausaufgaben auf. Ich war eine gute Schülerin und hatte viele Freunde.
Nach der Schule musste ich zu Hause helfen. Aber am Wochenende bin ich immer mit meinen Freunden zur Disco gegangen!

 

Als ich 13 Jahre alt war, haben wir Dokumente aus Deutschland bekommen. Jetzt durften wir für immer nach Deutschland fahren! Meine Familie und ich wollten schon immer dort hin, weil viele unserer Verwandten dort lebten.

 

Viele meiner Verwandten sind schon seit zehn Jahren in Deutschland! Als erstes sind mein Uropa und meine Uroma nach Deutschland gekommen. Sie wurden in Russland geboren, aber ihre Eltern kamen aus Deutschland. Die deutsche Zarin Katharina die Zweite hat damals die Ansiedlung von Deutschen im Russischen Reich organisiert. Schon immer hatte das Zarenreich einen großen Bedarf an Fachkräften aus anderen Ländern, um sie in der Wirtschaft und Armee einzusetzen. Diese Situation führte dazu, dass sich in der Vergangenheit zahlreiche Deutsche in Russland ansiedelten. Als dann Krieg mit Deutschland war (1941-1945), wurden meinen Ur-Urgroßeltern nach Sibirien geschickt. Dort mussten sie hart arbeiten und es ging ihnen nicht mehr gut.  Meine Urgroßeltern wollten die Heimat von ihren Eltern sehen. Deshalb sind sie nach Deutschland zurückgekommen.

 

Russland wollte ich dann trotzdem nicht so gerne verlassen. Besonders wegen meinen Verwandten, die noch dort sind und meinen Freunden. Die vermisse ich am meisten!

 

In Russland hatten wir ein eigenes Haus und ein Auto. Alles aus dem Haus haben wir verkauft. Und das Haus mit dem Auto auch. Nach Deutschland durften wir Kleidung und ein bisschen Geschirr mitnehmen. Es waren fünf große Koffer. Am 11.05.2005 bin ich zusammen mit meinen Eltern und meinen beiden Brüdern in unserem kleinen Dorf Jelschanka in Russland gestartet in das ferne Deutschland. Zuerst ging es nach Saratov, dann weiter nach Moskau.

Drei Tage mussten wir mit dem Bus nach Deutschland fahren: Durch Russland, Weißrussland, Polen und dann endlich Deutschland. Alles fand ich toll. Zuerst sind wir nach Berlin gefahren und dann nach Friedland. Friedland ist ein Lager für die Russen, die gerade erst nach Deutschland kommen und noch keine Wohnung haben. In Friedland waren sehr viele Russen, so dass wir mit fast allen Menschen nur russisch gesprochen haben. Alles war für mich so schön. In Deutschland ist sehr sauber. In Friedland hat es mir sehr gefallen, weil ich dort sehr viele neue Freunde gefunden habe – und meine Freunde waren alle Russen! In Friedland habe ich nur eine Woche gelebt. Dann bin ich nach Unna gekommen. Unna ist auch ein Lager für Russen. Dort sind wir einen Monat geblieben, weil meine Eltern auf irgendwelche Dokumente warten mussten. In Unna war es noch besser: Da waren auch viele Russen, aber ich durfte zur Schule gehen. Es war eine Schule nur für die Russen. Aber es gab deutsche Lehrerinnen. Manche konnten Russisch sprechen, manche nicht.

 

In der Schule musste ich Deutsch lernen. Ich konnte schon ein bisschen Deutsch sprechen, denn ich habe schon in Russland in der Schule vier Jahre Deutsch gelernt. Und zu Hause in Russland habe ich auch ein bisschen deutsch gesprochen.

 

In Unna habe ich auch viele neue Freunde gefunden, nicht nur Russen, auch Deutsche! Nach einem Monat sind wir dann nach Stolberg gekommen, weil dort alle meine Verwandten wohnen. Das war am 15.06.2005. Stolberg war für mich eine große Stadt. In Stolberg bin ich dann zur Schule gegangen, zuerst in die Förderklasse. Dort musste ich ein Jahr Deutsch lernen. Danach kam ich in eine normale Klasse und ich hoffe, dass ich nächstes Jahr die 10B besuchen kann, um meinen Realschulabschluss zu machen.

 

Meine Eltern haben noch keine Arbeit. Mein Vater arbeitete als Agronom in Russland. Er hat diesen Beruf gelernt. Und meine Mutter arbeitete im Kindergarten als Köchin. In Deutschland gefällt es meinen Eltern. Aber in Deutschland ist das Leben für meine Familie und auch für mich schwer. Besonders mit der Sprache ist das Leben schwer. Meine Mutter wird vielleicht eine Arbeit im Kindergarten kriegen. Aber mein Vater hat keine Chancen. Zurzeit lernt mein Vater noch Deutsch.

 

Ich habe ganz wenige Freunde. Meine Heimat vermisse ich jeden Tag. Hier ist es mir mit der Sprache so schwer. Ich kann zwar gut Deutsch, aber ich habe immer Angst, dass ich etwas falsch sage. Ich würde gern in Russland leben. Aber meine Eltern sagen, dass es in Deutschland eine bessere Zukunft gibt. In Deutschland gefällt es mir auch sehr, aber irgendwann fahre ich vielleicht nach Russland zurück.

 
Anna Fedukov, 9b



   
                                                                                        
 
Artikel aus: 2008 - Annas Bericht